Als ich in dieser Woche (13. November 2017) abends auf dem Weg von einem Glaubenskurs nach Hause fuhr, schallte mir in einem Nachrichtenbeitrag aus dem Autoradio entgegen: „Die Gottesdienste sollten kürzer werden!“ Es war ein Bericht über die vierte Tagung der 12. Synode der EKD. Und es war der Kernsatz des Berichtes im Radio. „Ob das die schwindende Bedeutung unserer Kirche ändert?“ war mein erster fragender Gedanke. Ist es die Länge unserer Gottesdienste, die Menschen den Kontakt zu Kirche und Glauben verlieren lässt?
Aber wie so oft sind die Beiträge in den Medien nur verkürzte Berichte. Und es wird Plakatives herausgezogen, was sofort eingängig ist. Immerhin hat man wohl gedacht: Dieser Impuls ist interessant für die, die im Radio zuhören. Denn was verbindet man zuerst mit Kirche: Den Gottesdienst.
Der Impuls kam von dem Religionssoziologen Prof. Dr. Detlef Pollack. Und Pollack zuzuhören lohnt sich meistens. Also habe ich mir den Text seines Impulsvortrages in Gänze aus dem Netz geholt. Zu finden ist er unter: https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/synode-2017-Impuls-Schwerpunktthema-Pollack.pdf
Der Impuls ist es tatsächlich wert, ihn zu lesen und sich in dem eigenen Nachdenken davon inspirieren zu lassen. Pollack nimmt in seinem Text sechs Stichworte auf. Es geht von der religiösen Sozialisation über die Sinnsuche bis zur Sünde. Gesamtthema ist dabei: „Herausforderungen für eine reformbereite Kirche“.
Unter dem Stichwort „Gottesdienst“ schlägt Pollack dann vor, dass die Gottesdienste kürzer werden müssen. Als Begründung dafür führt er an, „dass die Menschen wegbleiben, hat zwar auch damit zu tun, dass sie etwa mit der Art der Predigt unzufrieden sind, aber vor allem damit, dass sie am Sonntagvormittag schlichtweg anderes zu tun haben, das ihnen wichtiger ist.“ Auch wenn ich dieser Analyse zustimme, ziehe ich doch eine andere Schlussfolgerung hieraus. Ich glaube nicht, dass wir es den „Menschen [erleichtern], am Gottesdienst teilzunehmen, wenn er kürzer ist“. Mein Eindruck ist vielmehr, dass besonders in wachsenden Gemeinden die Gottesdienste eher länger als kürzer werden. Nicht, dass ich meine, der längere Gottesdienst wäre ein Qualitätsmerkmal. Bei weitem nicht. Aber wer seine Prioritäten von Grund auf anders setzt, wird auch den zeitlich eingeschränkten Gottesdienst nicht besuchen.
Von diesem Punkt abgesehen stimme ich den weiteren Ausführungen Pollacks zum Gottesdienst zu.Er betont, dass der Gottesdienst sowohl theologisch als auch soziologisch „die wichtigste kirchliche Veranstaltung“ ist. Es gibt einen „statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Gottesdienstbesuch und kirchlichem Ehrenamt“. Pollack weiter: „Der Engpass in Deutschland ist nicht das Ehrenamt, sondern der Gottesdienst, der immer mehr zu einer Insider Veranstaltung wird.“ Sein Resultat, dass der „Gottesdienst […] einladender […] und professioneller werden“ muss, teile ich somit gänzlich.
Ich bin davon überzeugt, dass es sich nachhaltig lohnen wird, in unsere Gottesdienste zu investieren. Das fängt mit dem Vorplatz der Kirche an (Gibt es Parkplätze? Ist das Gelände gepflegt, mag man das Haus betreten?). Es hat mit der Temperatur und den Bänken zu tun. Müssen Gottesdienstbesucher eigentlich bereit sein, kalt und hart zu sitzen? Oder hat da ein längeres, gemütliches Frühstück im warmen Esszimmer am freien Sonntag nicht leicht die Chance, eine höhere Priorität zu erzielen?Es hat aber auch mit der liebevollen und gut vorbereiteten Durchführung zu tun. Vielleicht würden uns statt kürzerer manchmal weniger und dafür qualitativ bessere Gottesdienste gut tun.
Eine hilfreiche Testfrage ist für mich: Sind unsere Gottesdienste so, dass die, die kommen, dazu gerne Freunde und Arbeitskollegen einladen, weil man sonntags eigentlich nichts besseres machen kann, als dort hinzugehen? Sind unsere Gottesdienste so, dass Menschen, die sich mehr zufällig dorthin verirren, die Chance haben, gute Erfahrungen zu machen und Beziehungen einzugehen und zu pflegen? Bekomme ich einen hilfreichen Impuls für mein Leben und meinen Alltag?
Ein guter Gottesdienst braucht in der Vorbereitung Ressourcen – vor allem auch Zeit für die liturgische und verkündigende Gestaltung. Ist es uns – als Gemeinde – der Gottesdienst wert, die „wichtigste kirchliche Veranstaltung“ zu sein? Dann müssen wir auch bereit sein, darauf unsere Priorität zu setzen und dafür vielleicht andere Dinge sein zu lassen. Denn ein guter Gottesdienst ist eine große Herausforderung – vor allem und zuerst an die für die Gestaltung Zuständigen. Aber es lohnt sich.
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