Jetzt bin ich also tatsächlich auf dem Weg nach Marburg. Na ja, selbst schuld, ich hatte das ja ins Gespräch gebracht. Weil Wittenberg oder Eisenach für eine eintägige Fortbildung zu weit erschienen, fahre ich jetzt mit 2 Bussen voller Lehrerinnen und Lehrern eben nach Marburg. Hat ja auch etwas Reformatorisches und wird auch so vermarktet: Das „Marburger Religionsgespräch“ 1529. Luther im Schloss. Die wittenberger Reformatoren treffen auf ihre schweizer und oberdeutschen Kollegen. Luther diskutiert mit Zwingli. Der – gescheiterte! – Versuch einer Einigung aller protestantischen Länder.
Marburg als Reformationsstadt war der Anlass für das Schulkollegium, dort hinzufahren. Und sicherlich ist auch der Zusammenhang zwischen Reformation und Bildung interessant. Landgraf Phillip von Hessen hat ja damals einiges in die Wege geleitet. Soll ich darüber etwas erzählen? – Wohl weniger: wir bekommen eine Vorab-Führung zum „Bildungsereignis Reformation“ – eine Ausstellung, die erst in einigen Tagen eröffnet wird.
Ob wohl alle große Lust haben zu einem solchen ganztägigen Ausflug anstelle weniger Stunden Fortbildung vor Ort?
Mit fällt der Reformator ein, der so gar keine Lust hatte nach Marburg zu fahren und dies nur per Dienstanweisung gemacht hat. Er hat sich nichts von dem Zusammentreffen und den Diskussionen versprochen. Er war anderer Meinung als Zwingli und die Schweizer und wollte auch nicht davon abrücken. Er war sicherlich kein angenehmer Gegener, stur und rechthaberisch, wenn es um Dinge ging, die für ihn existentiell wichtig erschienen. Und so kam es für die nächsten 500 Jahre zu einem Nebeneinander verschiedener protestantischer Kirchen.
Muss das so sein? Muss ich intolerant sein, weil ich sonst meine Glaubensüberzeugung relativiere? Oder kann ich auch anderen eine Wahrheitserkenntnis zugestehen? Das ist – wieder einmal – für mich ein zentrales Thema – dienstlich in Weltanschauungsfragen, aber auch persönlich.
Damit habe ich mein Vortragsthema für diese Fortbildung gefunden: eine evangelische, vielleicht lutherische Position, die dem heutigen Pluralismus angemessen erscheint. Luther konnte das nicht, er war einer Vielfalt von Glaubensformen gegenüber intolerant. Wir müssen also sozusagen mit Luther gegen Luther streiten. Luther : Luther.
Klar ist ja: Die Begegnung zwischen Religionen geschieht immer perspektivisch. Es gibt keine Position sozusagen oberhalb religiöser oder weltanschauliche Positionen. Jeder bringt das, was er oder sie als Wahrheit erkannt hat, in die Begegnung mit ein. Und versteht die anderen Positionen immer von der eigenen perspektivischen Gebundenheit her.
Aber das hindert mich ja nicht, die anderen aus deren jeweiliger Selbstsicht kennenzulernen. Sich in deren Innnenperspektive hineinzuversetzen. Zu verstehen, wie ein anderer Glaube funktioniert, seine Ausdrucksformen und Plausibilitätsstrukturen nachzuvollziehen. Möglichst so, dass die anderen sich in meiner Beschreibung wiederfinden können.
Dann kann ich meine eigene Sicht ins Spiel bringen – und Luther hätte sagen können: Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich selbst. „Allein die Gnade“: Gott selber macht unser Leben ganz und heil, auch unser Glaube ist Gnade und Geschenk und keine menschliche Möglichkeit. Und er hätte fragen können, wie Mensch und Gott in anderen Konfessionen (und Religionen) gesehen werden. Oder wie er später einmal formulierte: Der Glaube duldet nichts, die Liebe duldet alles.
Schade, dass Luther damals dazu nicht bereit war. Das wäre auch dem heutigen Pluralismus angemessen. Ich brauche mich nicht selbst zu verleugnen.
Ok, auf nach Marburg! Ein gutes Thema für die Fortbildung!
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