Kennen Sie das? Als Pfarrer begegnet es mir immer wieder, dass ehrenamtlich Mitarbeitende sagen: „Ach wissen Sie, eine Andacht halten, das kann ich nicht… Machen Sie das doch lieber, Herr Pfarrer!“ Okay, „Herr Pfarrer“ sagen Menschen heute nicht mehr so häufig, und das finde ich durchaus gut und richtig. Aber natürlich bin ich auch dafür ausgebildet, Andachten zu halten, und tue es auch gerne, aber dass andere das nicht könnten…?

Vielleicht fängt es schon damit an, dass eine Andacht „gehalten“ werden soll. Ich spiele mal mit dem Bild: Wenn ich die Andacht nicht „halte“, dann fällt sie anscheinend hin, ist hinfällig, also „hängt“ die Andacht an mir, ist von mir abhängig? Ich benutze lieber das Wort „gestalten“: Ich gestalte eine Andacht, und dazu verwende ich gerne Gestaltungs-Hilfen.

Ich möchte Mut machen, bei der Gestaltung einer Andacht auf solche Hilfen zurückzugreifen. Im gewöhnlichen Evangelischen Gesangbuch gibt es schon die ersten Tipps. Ab Nummer 828 auf der Seite 1253 finden Sie die Grundform einer Andacht und verschiedene Ausformungen als Anregung für die eigene Gestaltung. Daneben gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Liederbüchern mit alten und neuen geistlichen Liedern, in denen sich auch Andachts-Entwürfe finden. Als Beispiel möchte ich das Liederbuch „lieder zwischen himmel und erde“ nennen, das im tvd-Verlag Düsseldorf erschienen ist, aktuell 18 Euro kostet und unter der ISBN 978-3-926512-80-2 in jeder Buchhandlung bestellt werden kann. In diesem Liederbuch finden Sie allein 38 Andachts-Entwürfe zu verschiedenen Themen, darunter auch eine Anleitung für die Bibelgesprächs-Methode „Bibel teilen“.

Also: Es gibt eine Menge Anregungen, wie eine Andacht gestaltet werden kann. Meistens taucht aber in diesen Entwürfen das Element „Ansprache“ auf, und damit sind wir wieder am Anfang: „Das kann ich nicht…!“ Aber auch da möchte ich Ihnen Mut machen, Dinge auszuprobieren, vielleicht gerade auch Dinge, die in einer „normalen“ Ansprache nicht vorkommen. Selbst das Gesangbuch, das ja auch schon etwas in die Jahre gekommen ist, formuliert an dieser Stelle: „Eine biblische Lesung wird vorgetragen oder reihum Vers für Vers gelesen. Lesungstexte für alle Tage des Jahres stehen in kirchlichen Kalendern, im Losungsbüchlein der Herrnhuter Brüdergemeine oder in Andachtsbüchern. Statt einer biblischen Lesung kann auch ein anderer geistlicher Text gelesen werden oder ein Bild bzw. ein Symbol betrachtet werden. In einer kurzen Ansprache wird der Lesungstext (Bild, Symbol) ausgelegt. An die Stelle einer Ansprache können auch gedruckte Betrachtungen (Kalender, Andachtsbücher) treten, oder es wird eine Zeit der stillen Besinnung gehalten.“

Ich erinnere mich noch gut an meine Predigt auf der letzten Besuchsdienst-Tagung in Wuppertal: Predigttext war ein Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium Kapitel 21, die Verse 14 bis 17. Ich wähle als Übersetzung die BasisBibel (www.basisbibel.de): „(14) Da kamen im Tempel blinde und gelähmte Menschen zu Jesus. Und er heilte sie. (15) Die führenden Priester und Schriftgelehrten sahen die Wunder, die Jesus tat. Sie hörten auch, wie die Kinder im Tempel laut riefen: »Hosanna dem Sohn Davids!« Darüber ärgerten sie sich sehr. (16) Sie sagten zu Jesus: »Hörst du, was sie rufen?« Jesus antwortete ihnen: »Ja! Kennt ihr die Stelle in den Heiligen Schriften etwa nicht? Dort heißt es: ›Aus dem Mund von kleinen Kindern und Säuglingen lässt du dein Lob erklingen.‹« (17) Damit ließ Jesus sie stehen und verließ die Stadt. Er ging nach Betanien und übernachtete dort.“ Eine sehr lebendige Geschichte! Wissen Sie, wie ich mich auf die Predigt vorbereitet habe? Ich habe mir diese Geschichte vor meinem inneren Auge vorgestellt, sie sozusagen wie einen Film in meiner Vorstellung ablaufen lassen. Und dabei habe ich mir den Ort, die Situation und die handelnden Personen ganz genau angeguckt, „vorgestellt“. Dabei entstehen Fragen, z.B. „Warum lässt Gott sein Lob aus dem Mund von kleinen Kindern und Säuglingen erklingen?“ Und ich merke: Mit diesen und anderen Fragen ist das Entscheidende für eine „Auslegung“ schon getan. Ich kann versuchen, die Fragen aus meinem Wissen heraus zu beantworten. Oder aber ich gebe diese Fragen, die sich mir aufgedrängt haben, an die anderen Menschen in der Andacht weiter, und schon entsteht ein lebendiges Gespräch.

Ich behaupte, eine Andacht zu gestalten (nicht: zu „halten“!) ist gar nicht so schwer. Es gibt Gestaltunghilfen, und sich den Fragen zu einem biblischen Text zu stellen, allein oder mit anderen, ist immer wieder spannend und verheißungsvoll.