In Österreich ist Karfreitag seit diesem Jahr kein Feiertag mehr. Christinnen und Christen können diesen Tag als persönlichen Feiertag deklarieren und müssen sich einen Urlaubstag nehmen. Ob es das war, das die Initiative „Religionsfrei im Revier“ im Sinn hatte, als sie in diesem Jahr endlich die Genehmigung bekam, am Karfreitag in Bochum den „nicht feiertagstauglichen“ Monty-Python-Film „Das Leben des Brain“ zu zeigen und zu einer anschließenden Tanzveranstaltung einzuladen?
Nun, immerhin hat die „klerikale Bevormundung“, gegen die sich diese Initiative wehrt, bislang auch ihr einen arbeitsfreien Tag verschafft. Eine konsequente Abschaffung hätte zur Folge: Weder Stille noch Party, sondern arbeiten! Siehe Österreich.
Der Karfreitag hat es schwer. Klar, da gibt es die großen Passionsmusiken von Bach, die ihn zumindest hochkulturell verträglich machen (dass ich Pendereckis Lukas-Passion bevorzuge, habe ich ja letztes Jahr geschrieben)
Aber mitten in das frühlingshafte Erwachen neuen Lebens jetzt dieses düstere und traurige Thema?
Der Karfreitag hat es schwer. Gott ist tot, auch und zunehmend gesellschaftlich.
In diesem Jahr ist mir bei der Beschäftigung mit Jesu Kreuzigung wieder in Erinnerung gekommen, was ich vor Jahrzehnten an der Uni bei Professor Eberhard Jüngel gelernt habe: „Gott ist tot“ – das ist ein zentrales christliches Thema! Und nicht einfach ein atheistischer Kampfruf. Das wird deutlich, wenn wir uns das Markusevangelium anschauen. Jesus stirbt dort mit dem verzweifelten Satz: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?“ Dann schreit er noch einmal auf und stirbt. Der verzweifelte Schrei verhallt ungehört.
Stattdessen redet ein anderer. Ein Soldat beim Kreuz, der gesehen hat, wie Jesus qualvoll und ohne Trost stirbt, formuliert das erste christliche Bekenntnis: „Ganz gewiss, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“.
Da wird ein Toter als Gottes Sohn identifiziert. Gottes Sohn stirbt. Kann denn Gott sterben?
Wenn das Markusevangelium diese Szene festhält, dann will es uns zeigen: An diesem Kreuz – da ist irgendwie Gott drin. Im Leiden, im Sterben, ist Gott.
Das stellt unsere Vorstellungen, auch unsere religiösen Vorstellungen auf den Kopf! Kein lebendiger, allmächtiger Gott. All das wird am Kreuz auf den Kopf gestellt. Das Markusevangelium sagt es mit einem religiösen Bild: Der Vorhang im Tempel, der das Allerheiligste verdeckt, reißt entzwei von oben bis unten. Nun sieht man ins Allerheiligste, nun sieht man Gott, der sich nicht länger verborgen hält. Und was ist zu sehen? Der tote Christus.
Da ist etwas geschehen am Kreuz. Da ist kein Gott mehr, der ewig, unwandelbar über allen Dingen thront, der Allmächtige. Sondern ein Gott, der sich in das Weltgeschehen verwickelt. Bis zum Kreuz. Bis in den Tod. Gott nimmt den Tod auf sich. Gott stirbt. Gott und der Tod gehören jetzt zusammen. Und das bleibt nicht ohne Folgen! Gott besiegt den Tod, indem er ihn erträgt. Das gehört zur Essenz der Karfreitagsbotschaft.
„Gott ist tot“ – das ist nicht einfach ein Kampfruf von Atheisten. Friedrich Nietzsche hat diesen Satz aus dem Evangelium geklaut.
Gott ist tot: im Kreuz wird das zu einer christlichen Parole.
Das war übrigens eine der ganz zentralen Einsichten von Martin Luther: Wenn Gott Mensch wird, so sagte er, dann wird er auch leidensfähig. Dann stirbt am Kreuz nicht nur ein – zugegeben: guter, unschuldiger – Mensch. Wäre nur der Mensch Jesus gestorben, hätten wir hier ein dramatisches Ereignis, aber nicht mehr. Das wäre nach Luther „ein schlechter Heiland“, der „bedarf selber eines Heilandes.“ „Die Person (Christus) leidet / stirbet / Nun ist die Person wahrhaft Gott, drumb ists recht gered / Gotts Sohn leidet.“
Das Kreuz zeigt: Da ist Gott. Da hängt Gott.
Zugegeben: das ist ein sehr riskanter Satz. Vielleicht der Grund dafür, warum es der Karfreitag so schwer hat. Auch Christ*innen haben damit immer wieder ihre Schwierigkeiten gehabt: Es gibt ein nur selten gesungenes Passionslied in unserem Gesangbuch, es steht im EG unter der Nummer 80: „O Traurigkeit, o Herzeleid“. Schon dieser Titel ist ein tiefer Seufzer angesichts des Kreuzes. Die Strophe 2 beginnt mit „ O große Not, Gotts Sohn ist tot“. Der Liederdichter Johann Rist hatte hier ursprünglich gut lutherisch formuliert: „O große Not, Gott selbst ist tot“. Das war auch vielen Frommen einfach zu anstößig. Und so änderte man z.B. im Dortmunder Gesangbuch in „O große Not, der Herr ist tot“ oder eben schon länger in den evangelischen Gesangbüchern in „Gotts Sohn ist tot.“
„Gott selbst ist tot“. Der englische Schriftsteller Oscar Wilde hat einmal geschrieben: „Wir liegen alle in der Gosse, aber ein paar von uns schauen zu den Sternen auf.“ Das ist der menschliche Blick nach oben. Getragen von der Hoffnung und Sehnsucht auf Gottes Hilfe. Gott sieht mich. Gott meint es gut mit mir. Das lässt mich aus der Gosse heraus nach oben blicken. Ich stecke meinen Kopf nicht tiefer in den Schlamm. Ich blicke nach oben und klage meinem Gott mein Leid. Und während ich nach oben klage, höre ich von der Seite eine Stimme: „Ich bin da, hier bei dir, in der Gosse“
„Klerikale Bevormundung“? Das kann ich am Karfreitag nicht erkennen. Ob die „Religionsfreien im Revier“ bessere, weil „aufgeklärtere“ Antworten – oder wenigstens Umgangsformen – im Blick auf Leid und Tod haben? Jenseits von Satire und Tanzveranstaltungen?
Und was die Feiertagsregelungen betrifft, hat meine Tochter einen guten Vorschlag: Wer – z.B. aus Gründen der Religionsfreiheit – diesen Feiertag nicht möchte, braucht das nicht und kann gerne für unser Bruttosozialprodukt tätig sein.
Andreas Hahn
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