Kennt jemand die schon etwas ältere Karikatur, auf der zwei Menschen vom Besuchsdienst vor der Haustür stehen und die missionarische Botschaft anbringen: „Auch für dich ist Jesus gestorben!“? Die Antwort des Menschen, der die Tür öffnet, lautet: „Für mich ist der schon lange gestorben…“
Natürlich ist das eine Karikatur im wahrsten Sinne des Wortes, und heute wird kaum eine Besuchsdienst-Mensch dem/der Besuchten „einfach so“ die rettende Botschaft „um die Ohren hauen“, erst recht, wenn mit solchen Reaktionen wie in der Karikatur zu rechnen ist. Wie kann sich missionarischer Besuchsdienst aber dann heute aufstellen?
Michael Herbst (Prof. für Praktische Theologie in Greifswald) nennt in einem Artikel zu Fresh X (Fresh Expressions of Church – Neue Ausdrucksformen von Kirche) eine gefährliche Engführung von Besuchsdienst: „Besuchsdienst bedeutet: ‚Wir kommen jetzt einmal zu Euch auf Besuch, aber ehrlich gesagt: Wir wünschen uns, dass Ihr dann bei uns in der Kirche, so wie wir sie lieben, heimisch werdet. Wir kommen zu Euch, damit Ihr zu uns kommt!'“
Wenn Menschen das aber gar nicht wollen?
Wenn Gott Menschen besucht (das ist u.a. die Botschaft von Weihnachten) und der Besuchsdienst deshalb auch Menschen aufsucht, dann ist der Besuchsdienst der Arbeitszweig christlicher Gemeinde, der so nahe bei den Menschen ist wie kaum ein anderer. Und dadurch bekommt der Besuchsdienst zwei Richtungen:
- Zum einen stellt der Besuchsdienst einen Kontakt zu den Menschen her, die (aus den unterschiedlichsten Gründen, z.B. wegen einer Krankheit) keinen Kontakt mehr haben können oder aber auch gar keinen Kontakt mehr haben wollen. Der Besuchsdienst signalisiert: Deine Kirchengemeinde hat auf jeden Fall in Gottes Namen Interesse an dir.
- Zum anderen aber kann der Besuchsdienst auf seinem Weg durch die Straßen und in die Häuser die Menschen wahrnehmen, die keinen Kontakt zur Kirche haben, weil sie möglicherweise noch nie einen gehabt haben. Ich denke da an das Straßeninterview, dass ich vor einiger Zeit im Fernsehen gesehen habe, bei dem jemand auf die Frage, ob er evangelisch oder katholisch sei, antwortet: „Ich bin nichts, normal halt…“ Und Menschen, die so denken, begegnen uns immer öfter – auch im Umfeld der Menschen, die „in der Regel“ besucht werden, z.B. an einer Geburtstagstafel.
Vor einigen Jahren gab es in unserer Westfälischen Kirche die Aktion „Kirche fragt nach“, und im Jahre 2015 hat der Kirchenkreis Vlotho diese Aktion noch einmal aufgenommen, um 175 Menschen anlässlich des 175-jährigen Jubiläum des Kirchenkreises zu befragen. In der Tageszeitung „Neue Westfälische“ hieß es dazu: „Wir sind eine große und vielfältige Gemeinschaft, blicken auf eine bewegte Geschichte zurück und stehen für die Zukunft vor großen Herausforderungen, schreibt Superintendent Andreas Huneke in dem Brief an die ausgewählten Kirchenmitglieder. So werden die Jubiläumsfeierlichkeiten im Januar 2016 auch nicht nur an Historisches erinnern, sondern an einem Tag als Zukunftswerkstatt gestaltet. Und auch da sollen natürlich die Meinungen und Gedanken der Befragten berücksichtigt werden.“
Nun kann nicht jede Kirchengemeinde regelmäßig Gemeinde-Umfragen und „Zukunftswerkstätten“ gestalten (oder vielleicht doch…?), aber das Ohr bei dem zu haben, was „die Gemeinde sagt“, ist verheißungsvoll, erst recht, wenn „die Gemeinde“ nicht nur die regelmäßigen Veranstaltungs-Besucherinnen und -Besucher sind.
Hier liegt die Chance eines veränderten Besuchsdienstes: Der Besuchsdienst ist nah auch bei den Menschen, die nicht so regelmäßig an den „üblichen“ Veranstaltungen der Kirchengemeinde teilnehmen, und so kann er seine Beobachtungen z.B. an die Verantwortlichen in der Kirchengemeinde weitergeben, damit es in der Gemeinde möglich wird, nach angemessenen möglicherweise neuen Formen von Gemeinde für „Außenstehende“ zu suchen.
Ich finde das spannend, wie der „alte“ Besuchsdienst in einer Gemeinde, die nah bei den Menschen sein will, zur Reformation beiträgt, indem er ein gutes Beispiel für eine „mixed economy“* ist, eine gute Mischung von Bewährtem und Neuem: Auf der einen Seite macht er in bewährter Weise Besuche „wie immer“, und gleichzeitig behält er die Menschen im Blick, die darauf warten, dass Gemeinde sich verändert und sich ihnen zuwendet.
* "mixed economy" ist ein Spezialbegriff aus der Diskussion über Fresh X und meint das gelingende Nebeneinander von alten und neuen Ausdrucksformen von Gemeinde.
24. Januar 2017 um 10:07 Uhr
Wieso reformiert? habe ich mich beim Lesen gefragt. Die besondere konfessionelle Note habe ich nicht gefunden. Andererseits: Der Besuchsdienst durch Älteste und Pfarrer war von jeher ein wesentliches Element des reformierten Gemeindeaufbaus, ursprünglich im Zusammenhang der Feier des Heiligen Abendmahls. In nicht ganz so weit zurückliegender Zeit haben wir Theologen / innen den Besuchsdienst als ein Element einer Kirche verstanden, die zu den Leuten geht.
Meine Erfahrung: Besuchsdienst ist ganz wichtig – muss mit der seelsorgerlichen Kompetenz koordiniert bleiben. „Es war schon jemand von der Kirche da…“ – der oder die sagt: „Sie gehören dazu, darum interessiere ich mich für Sie.“
Wo aber kommen solche Besuchsdienste vor in Konzepten kirchlicher Arbeit, die vor allem auf Kernbereiche setzen. Besuchsdienst ist eine Kernkompetenz!
24. Januar 2017 um 10:31 Uhr
Danke für den Kommentar, der genau das weiterführt und vertieft, was ich mit meinem Artikel ausdrücken wollte.