Medizinisch – oder besser: epidemiologisch – scheinen unsere Gottesdienste ja ganz gut durch die Wellen der Pandemie gekommen zu sein. In keinem einzigen Falle kam es zu Ausbrüchen. Diskutiert, gestritten in Frage gestellt wurden die Regelungen aber fleißig.

Und jetzt rollt die Debatte über 3G an: nur noch Geimpfte, Genesene, Getestete in unseren Gemeinden? Und die Tests in absehbarer Zeit nicht mehr kostenfrei?

Schon wird Kritik laut, „gegen diskriminierende, sanktionierende und einschüchternde Maßnahmen durch gesellschaftliche Gruppen, staatliche und kirchliche Institutionen“, die sich gegen Menschen richteten, die „ihr Recht wahrnehmen“ und sich nicht impfen ließen. So formuliert es das Netzwerk Bibel und Bekenntnis. Immerhin: ihr Sprecher, Ulrich Parzany, legt offen, dass er selbst geimpft sei. Das ist gut so und wichtig. Ich kenne auch die Situation, dass ein Pastor in einer von Impfgegnern dominierten Gemeinde es nicht wagt, öffentlich zu seiner Impfung zu stehen.

Individuelle Freiheitsrechte müssen gewahrt bleiben – sie finden aber immer dort ihre Grenzen, wo wir nicht autonom leben, sondern mit anderen und deren individuellen Freiheitsrechten zusammen kommen. Dann gilt es abzuwägen und solche Abwägungen müssen auch in die Gesetzgebung einfließen.

Trotzdem. Diskriminierung ist schon ein scharfes Wort. Aktuell hat jede und jeder das Recht, sich nicht impfen zu lassen. Ob es klug war von den politischen Entscheidungsträgern, einen „Impfzwang“ kategorisch auszuschließen, der jetzt möglicherweise „durch die Hintertür“ Einzug erhält, ja Einzug erhalten muss, sei dahingestellt.

Kritisch merkt das genannte Netzwerk an, Nutzen oder Schaden der Impfungen seien „strittig“. Hier geschieht eine Verengung und Zuspitzung, die ich für problematisch halte: Natürlich gibt es Impfreaktionen, schädigende Nebenwirkungen und seit Neustem lesen wir von „Impfdurchbrüchen“. Aber die sind quantifizierbar und benennbar. Ausnahmen für bestimmte Personengruppen sind sogar vorgesehen „Umstritten“ sind sie eigentlich nur dort, wo – verschwörungstheoretisch befeuert – irrationale Argumente der sogenannten „Querdenkerszene“ aufgegriffen werden. Mit denen sollten wir uns nicht gemein machen!

Die Anwendung der 3G-Regel führt natürlich dazu, dass alle Nicht-Geimpften gezwungen sind, sich auf eigene Kosten immer wieder testen zu lassen, wenn sie am gesellschaftliche und gemeindlichen Leben teilnehmen wollen.

Ja und? Wenn ich mich entscheide, aus ethischen Gründen keinen Führerschein zu machen und nicht Auto zu fahren, kann ich nicht verlangen, umsonst – und d.h. ja: auf Kosten der Allgemeinheit – öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Wenn ich mich weigere, im Haus Rauchmelder anzubringen – weil sie ja angeblich versteckte Überwachungseinrichtungen sind! –, kann ich nicht verlangen, dass meine Versicherung mich genauso behandelt wie solche, die das selbstverständlich anbringen.

Wegen der Verwendung von Zelllinien abgetriebener Kinder bei der Entwicklung oder Herstellung einiger Impfstoffe meldeten manche Christinnen und Christen „ethische Bedenken“ an.

Seltsamerweise wird in denselben Kreisen nie diskutiert, ob man sich Handys zulegen darf, betrachtet man die Umstände des Coltanabbaus, ob man Kleidung ungeachtet ihrer Produktionsbedingungen tragen oder nicht fair gehandelten Kaffee zum Kirchkaffee anbieten darf.

Christlicher Kinesehnenreflex?

Diese ethischen Argumente kann man vielleicht nicht ganz von der Hand weisen, sie gleichen aber eher Reflexen als argumentativen Erörterungen: Es gibt so etwas wie einen „christlichen Kniesehnenreflex“: so wie eine Sehne am Muskel zieht, wenn man auf eine bestimmte Stelle am Knie schlägt, lösen bestimmte Themen eine reflexartige ethische Ablehnung aus: Abtreibung ist dann hier der Schlag für den „christlichen Kniesehnenreflex“ (den es aber in allen kirchenpolitischen Richtungen gibt).