Das Thema Verschwörungstheorien ploppt in der Weltanschauungsarbeit immer wieder auf. Es scheint ein Indikator für unsere gespaltene und vielleicht sogar zerrissene Gesellschaft zu sein. Das gilt nicht nur für Corona und die Frage nach Impfungen und Freiheitsrechten. Sondern auch für Sprachpolitik, für den Umgang mit Marginalisierten, Geflüchteten, Ausgegrenzten, mit Rassismus, Antisemitismus, Kolonialismus usw. usw.

Ein Kollege, der schon seit vielen Jahren sich um Menschen kümmert, die aus sozial wenig privilegierten Schichten kommen, formulierte jüngst den Eindruck, seine Leute seien anfällig für irrationale Verlockungen und suchen dabei nach dem, was sie als normal“ empfänden. Und wir als Kirchen hätte das viel zu wenig im Blick. Wir würden sie sozusagen „rechts liegen lassen“.

Er spricht von Menschen, die unsere Gesellschaft und ihre Entwicklungen als ungerecht, ja bedrohlich empfinden. Sie erleben Veränderungen vielen Lebensbereichen, die ihnen wirklich Angst machen und in denen sie sich nicht mehr zurechtfinden. Und vor allem finden sie im Spektrum der Politik und leider oft genug auch in unseren Kirchen keine wirklichen Anknüpfungspunkte mehr.

Das ist nicht nur seelsorgerlich bedenklich. Es ist gefährlich.

Natürlich heißt das jetzt nicht im Gegenzug alles gut zu heißen und offenem Rassismus, Sexismus, Autoritarismus Tor und Tür zu öffnen.

Aber zentral ist es doch nicht, Menschen oder Menschengruppen zu bewerten. Sondern erst einmal zu helfen und zu trösten. Verstehen, nicht erklären. Und schon gar nicht ausgrenzen.

Im Umgang mit Anhänger*innen von Verschwörungstheorien sehe ich das: Wir dürfen nicht alles gut heißen. Aber solche Menschen wollen nichts erklärt bekommen, sondern verstanden werden.

Vielleicht ist es schon einmal hilfreich, ihnen zunächst einmal subjektive Ehrlichkeit und einen grundsätzlich guten Willen nicht von vornherein abzusprechen. Wir werden schnell sehen, wie sich dann die Spreu vom Weizen trennt: diejenigen, mit denen man noch reden kann, und die anderen, die sich schon in ihrer eigenen Blase zurückgezogen haben. Es wird sich dann zeigen, wie wiet der Wunsch nach „diversen“ Gemeinden auch hier verwirklichen lässt. Vorhandene Angstpotentiale können so seelsorgerlich aufgegriffen werden. Wo das nicht gelingt, wirken solche Verschwörungstheorien wie auch rechte, rassistische, nationalistische Angebote und Netzwerke als Brandbeschleuniger!

Das ist eine echte Herausforderung. Und nicht unumstritten. Vielleicht kann man es vergleichen mit der deutschen Nachkriegszeit und ihrer Politik. Damals wurden nicht wenige Menschen, die noch voller autoritärer und nationalistischer Gedanken waren und eine entsprechende Vergangenheit mitbrachten, in die Gesellschaft, ihre Institutionen und die Politik eingebunden. Sicherlich nicht unproblematisch. Zugleich aber hohe Staatskunst.Denn das muss man ja – gerade heute – erst einmal schaffen: solchen Menschen ein politisches Heimatgefühl geben und gleichzeitig Rechtsstaatlichkeit und demokratische Einbindung ganz realpolitisch voranzutreiben.

Und wer das politisch völlig ablehnt, sollte sich Jesus zum Vorbild nehmen: Wenn er mit „Zöllnern“ am Tisch sitzt und mit ihnen Gemeinschaft pflegt, dann waren dies ja genau die gesellschaftlich zu Ächtenden. Jede Sozialromantik liegt hier falsch: Das waren politisch Verlorene.

Heute und in vielen Kirchen ist es leicht, gegen „rechts“ zu sein – zumal wenn man in einer komfortablen Umgebung lebt. So „divers“ wollen wir dann doch lieber nicht sein. Menschen sollen aber doch verschieden sein dürfen. Auch solche gehören dazu. Und bloße Rechthaberei führt Irregeleitete selten auf den Weg zurück in die Gemeinschaft.

Sich mit ihnen an einen Tisch setzen! Das bedeutet auch: man muss empathisch sein. Geduldig. Und vielleicht auf Augenhöhe!

Oder wer andere Aktionen bevorzugt: In einer Ruhrpott-Großstadt höre ich von einer Aktion in einem „rechten“ Viertel mit rechten Bürgerwehren. Dort versuchen Christen, den Bewohnern statt mit lautstarken Gegendemos lieber mit Angeboten in deren Lebenswelt auf Augenhöhe zu begegnen. Und sie nicht „rechts liegen zu lassen“.