Die ursprünglich gehegte Annahme, dass ORG [Organisierte rituelle Gewalt] vor allem in satanistischen Sekten erfolgt, konnte nicht bestätigt werden.“ Für solche Sätze haben wir in der Weltanschauungsarbeit regelmäßig Prügel bezogen. Jetzt formuliert ihn sogar die vom Bundestag eingesetzte Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und fasst damit den Forschungsstand zusammen. Mittendrin und fast etwas versteckt auf Seite 14 von 37 bringt dieser Satz auf den Punkt, womit wir uns in der Weltanschauungsarbeit schon lange herumschlagen.

Immer wieder kommen Menschen zur Beratung, die von Gewalterfahrungen und sexualisiertem Missbrauch erzählen. Das ist eigentlich erst dann mein Arbeitsbereich, wenn es sich um problematische religiöse Gruppierungen handelt. Unter den Ratsuchenden sind auch solche Leute, die von extremer Gewalt, von Folterungen, Tötungen bis hin zum Kannibalismus erzählen. Sogar „Satanspriester“ sind mir schon über den Weg gelaufen, Rituale mit Tausenden von Teilnehmenden nachts auf großstädtischen Friedhöfen hätten sie erlebt.

Was bizarr klingt, soll Realität sein. Das fordern einige Traumtherapeutinnen und therapeuten, psychosozialen Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. In einem „Erklärvideo“ fordern sie: „Seien Sie bereit, Dinge zu glauben, die jenseits ihrer eigenen Vorstellungskraft liegen.“

Dass man trotz akribischer Recherchen über Jahrzehnte in verschiedenen Ländern keinen einzigen Beleg für solche Ritualpraktiken gefunden hat, wird im Gegenteil als Beleg für die Macht dieser Gruppen gesehen, die auch die Strafverfolgungsbehörden unterwandert hätten.

Geplante Tagung: wegen Corona ausgefallen
Geplante Tagung 2020 – wegen Corona ausgefallen

Wie gut, dass die Kommission demgegenüber so klare Worte findet – und das, ob wohl in Umfragen immer wieder mehrheitlich „Satanischer Kult“ als Ideologie dieser Gruppen genannt wird!

Es hilft uns in der weltanschaulichen Beratung und Unterstützung, Vertrauen aufzubauen, wenn man nicht immer gegen diese Erzählungen arbeiten muss.

Fraglich bleibt natürlich, wie diejenigen, die am Narrativ einer „satanistischen rituellen Gewalt“ festhalten, damit umgehen. Der Forschungsbericht empfiehlt ja, nur noch von „Organisierter Gewalt“ zu sprechen und fordert „die Entmystifizierung des Rituellen weiter voranzutreiben.“

Große Hoffnung habe ich diesbezüglich aber nicht. Zu oft wurde schon der Markenname gewechselt. Die ursprüngliche eindeutigen Tätergruppen des „satanisch-rituellen Missbrauchs“ bleiben schon in der „Rituellen Gewalt“ nur noch vage. Die neue Konjunktion „organisierte und rituelle Gewalt“ verbindet jetzt etwas Reales und gut Belegtes mit der Behauptung, es gäbe eine spezielle weltanschauliche Ideologie für diese Taten. Dann müsste beispielsweise auch der ideologisch – nämlich pädagogisch – motivierte Missbrauch an der Odenwaldschule unter diesen Begriff fassen. Als eigenständiges Modell hat sich dann die Rituelle-Gewalt-These eigentlich erledigt.

Aber schon lange beobachten wir bei den Netzwerken der Rituellen-Gewalt-These eine Diskrepanz zwischen Außendarstellung und interner Kommunikation (auf Tagungen und Fortbildungen), wo ganz selbstverständlich von generationenübergreifenden, weit verzweigten Satanisten-Netzwerken die Rede ist.

Und das wird, fürchte ich, auch noch weiter so bleiben.