Die Allianz-Gebetswochen stehen im Terminkalender vieler evangelikaler Christ*innen. Weltweit treffen sie sich eine Woche lang – oder doch wenigstens an mehreren Abenden -, um miteinander zu beten und ein Thema gemeinsam zu bedenken. Wie jedes Jahr gibt ein ausführliches Vorbereitungsheft Vorschläge und Materialien für die Gestaltung der Abende an die Hand. Trotzdem ist es für kleine Gruppen aus Landes- und Freikirchen mancherorts mühsam, solche Veranstaltungen vor Ort zu organisieren.

Erstaunlich, dass dies auch für einen Veranstaltungsort in Westfalen gilt, mit einer doch großen Evangelischen Allianz, die es jährlich schafft, einen großen Open-Air-Gottesdienst mit bis zu 2000 Besucher*innen auf die Beine zu stellen. Jedenfalls wird dieses Jahr statt zur Allianz-Gebetswoche zu den „Bielefelder Gebetstagen. Your Kingdom come“ eingeladen.

Wer dabei pfingstlich-charismatische Einflüsse vermutet, liegt nicht ganz falsch, wie schon von der ersten Veranstaltung an deutlich wird. Es gehört schon etwas Chuzpe dazu, aus der weltweiten Gemeinschaft auszusteigen und ein eigenes, besseres Programm zu installieren. Statt des vorgeschlagenen Themas „Wo gehöre ich hin?“ geht es jetzt ausschließlich um das Gebet für eine große „Erweckung“ der Stadt (genannt werden „Tausende“ bzw. eine Verdreifachung der bisherigen Zahl an Christen – wichtig ist es ja, „groß“ zu denken und zu glauben!). Der im Vorfeld formulierte Anspruch eines stärker auf die Stadt zugeschnittenen Programms wird damit gerade nicht erfüllt. Gleiches könnte man an jedem beliebigen Veranstaltungsort durchführen.

Thema der Allianz-Gebetswoche

Die sonst eher evangelikal ausgerichteten und zum Teil ja auch landeskirchlich mitgestalteten Abende der Evangelischen Allianz werden nun umfunktioniert zu reinen neucharismatischen Happenings, mit lauter Musik und von der Bühne moderierten Gebetszeiten, die nur wenig Raum für eigene Kleingruppengebete bieten. Immer wieder wird zu gemeinsamen Gebeten aufgerufen, zu Menschenketten, die sich an den Händen halten. Gebetet wird laut, heftig, teilweise gestenreich und glossolal. Das triggert leidenschaftlichen Gefühle. Auch die bpm-Zahl der Musik trägt zu einer entsprechenden Stimmung bei. In einer solchen tranceartigen Atmosphäre werden Glaube und Gebet zu machtvollen Demonstrationen.

Es ist nicht länger eine „Allianz“ verschiedener Gemeinden und deren Kulturen, sondern eine ausschließlich neucharismatische Veranstaltung mit ihren typischen Merkmalen. Charismatische Spiritualität hat zweifellos ihre Stärken und kann auch für uns Landeskirchen zum Gewinn werden. Emotional ist da noch viel Luft nach oben. Und auch eine Nähe zum popkulturellem Mainstream könnte unsere meist klassische Filterblase etwas öffnen.

Problematisch wird es aber, wenn die eigene Begeisterung und die getriggerten Gefühle mit Gotteserfahrungen identifiziert werden. Gefühle sind kein Kriterium für den Glauben, sie bedürfen vielmehr eines – theologischen, biblischen! – Kriteriums. Ein solches fehlt an diesen Abenden. Im Gegenteil: Wer einen „Eindruck“ (das wohl am häufigsten verwendete Wort dort) hat, erlebe Gott direkt und sollte das teilen. Entsprechend hören wir ungeprüfte, banale und sehr vorhersehbare „Eindrücke“.

Unter der schwarzen Flagge – nur ein Zufall

Mein eigener „Eindruck“ dieser Abende ist gänzlich anders: Es wird exemplarisch deutlich, was passiert, wenn sich das evangelikale Christentum ungeprüft den neuen charismatischen Bewegungen öffnet: Es wird gekapert. Trance und (wenn auch ostwestfälische) Extase statt Gebet und Bibel. Massenveranstaltung statt Individualität. Spektakel statt Tiefgang.

Bleibt zu hoffen, dass es sich hier um einen Ausnahmefall handelt, der auch intern aufgearbeitet wird. Und dass dies nicht die Zukunft der Allianz-Gebetswochen oder des evangelikalen Christentums wird!