Nach wie vor mag ich Jazz, vor allem in seinen modernen, avantgardistischen Formen. Aber ihm geht es ähnlich wie unserer Kirche: Er hat schon einige Jahre auf dem Buckel und seine Anhänger werden auch immer älter und weniger. Selbst der berühmte John Coltrane spielte zuletzt manchmal vor nur 10 zahlenden Zuschauern! Robert Glasper, einer der kommerziell Erfolgreichsten im Jazz, sieht  das Problem darin, dass Jazzmusiker oft nur mit selbst verbunden sind und nur noch eine Nische bedienen, die sich längst von den Grundlagen der Gesellschaft entfernt habe.

Hoppla, das erinnert mich doch an manche Probleme unserer Kirche: mehr und mehr ein Nischenprodukt, stark beschäftigt mit sich selbst und weitgehend in Kontakt mit seinesgleichen. Die Lebenswirklichkeit vieler, besonders jüngerer Menschen, bleibt außen vor. Bei einer Jazz-Andacht auf dem Berliner Kirchentag habe selbst ich das Durchschnittsalter nach unten gedrückt…

Und dann habe ich den Saxofonisten Kamasi Washington entdeckt und sein Album The Epic. Keine außergewöhnlich neue oder originelle Musik, auch gar nicht auf dem höchsten Niveau spielend. Unter Jazz-Kritikern eher geschmäht. Aber: hohe Verkaufszahlen, große Resonanz im musikalischen Mainstream von HipHop und Elektronik. Was hat er anders gemacht?

3 CDs, eine große Band, dazu noch Chor und Orchester – der Name „The epic“ passt!

Kamasi Washington ging nicht den üblichen Weg als Begleitmusiker bei Jazz-Institutionen und tingelte auch nicht erst einmal durch die Jazzclubs und Festivals. Sondern er war Gast bei Produktionen von Rappern wie Kendrick Lamar, Snoop Dog oder Flying Lotus. Sein Ruf verbreitete sich über Youtube und Facebook. Wer bei Kendrick Lamars Album To pimp a butterfly mitgewirkt hat und Thundercat als Bassisten mitspielen lässt, kann ja nicht ganz schlecht sein. So transformierte er die Grundideen des Jazz in die Lebenswirklichkeit junger Menschen der Informationsgesellschaft und erreichte Hörerinnen und Hörer, die gar nicht mit dem Jazz sozialisiert worden sind

Kendrick Lamar – Grammys für seine Rap-Alben und ein Pulitzer-Preis für seine Texte

Ein Beispiel für uns Kirche? Wollen wir Resonanzräume auch in anderen als nur innerkirchlichen Kulturen suchen, müssen wir uns dort einmischen. Mitmachen. Mitgestalten. Über Fresh X neue Begegnungsformen suchen. Über digitale Plattformen uns in die Meinungsbildung der Netzgemeinde einmischen. Nicht nur als ängstliche Bewahrer der Tradition auftreten. Im Jazz produzierte Kamasi Washington einen erbitterten Disput über die Aufnahme fremder Einflüsse, die erstmals weit über Jazzkreise hinausging. Wo gelingt uns das in den Kirchen? Dass Diskussionen über Neuerungen nicht nur innerkirchlich geführt werden, sondern Interesse und Engagement auch bei „Kirchenfernen“ auslösen? Ähnlich wie der Jazz haben sich ja auch unsere Glaubensformen verändert und Neues aufgenommen.

Glaube & Pop-Kultur?